missing icons l Knobloch + Vorkoeper, Hamburg
in Kooperation mit Brunnert u. Ohlenschlager Landschaften, Hamburg
Berater: Flosbach Garten- und Tiefbau GmbH
Auszug aus dem Text der Verfasser*innen:
Abstract
Das 39er-Denkmal und der Reeser Platz, die bislang stadträumlich abgesondert und verborgen sind, werden weithin sichtbar freigestellt. Indem die bislang getrennten Platzflächen zu einem Platz verschmolzen werden, eine Sichtachse zum Rhein frei geräumt wird und sich die Gesamtanlage mit den angrenzenden Stadträumen verbindet, entsteht der „Neue Reeser Platz“. In der neuen Sichtachse zeigt sich das 39er-Denkmal vom Rhein wie von der Stadt aus als monolithischer Block, dessen Kontur und Größe jedoch radikal aufgebrochen wird. Eine bedrohlich düstere, schwere Masse bedrängt, umfließt und überlagert es. Die „Kritische Masse“ schiebt sich von den Rändern quer über den Platz auf das Denkmal zu. Sie überschüttet den vorderen ehemaligen Aufmarschplatz ebenso wie den ehemals hinter Dickicht versteckten Rückraum des Denkmals mit einer gedellten, hügeligen Struktur, die in sich löchrig und aufgerissen ist.
1. Kritische Masse, Fraktales Relief, Asphalt auf Schottertragschicht, 2200 m2/2400 m3
Die „Kritische Masse“ kommt aus dem Nichts und erscheint unendlich fortsetzbar. In ihrer materialen Struktur finden sich die bis heute sichtbaren Verletzungen und Narben verdichtet, welche die verheerenden Materialschlachten der beiden Weltkriege in vielen europäischen Landschaften hinterlassen haben. Unter ihren durch Millionen von Geschossen, Granaten und Bomben entstellten und unrettbar vergifteten Oberflächen liegen noch heute ungezählte Soldaten begraben.
Die Masse greift das 39er Denkmal doppelt an: Sie nivelliert seine heroische Klarheit und Größe und sie widerspricht seiner Intention. Die Bedrohlichkeit des abgebildeten Regiments, die 1936 das deutsche Wiedererstarken signalisieren sollte, löst sich auf. Die abgebildeten Soldaten steigen nicht länger aus der Tiefe des Grabes auf, um in den nächsten Krieg zu ziehen. Als steinerne Untote, deren Gesichter von der Zeit angefressen sind, befinden sie sich stattdessen unversehens mitten im Kriegsgeschehen und gehen dem Tod erneut entgegen. Die Auferstehungsmystik des Kriegerdenkmals, die dem sinnlosen Sterben im 1. Weltkrieg ex postum Sinn und quasireligiöse Weihe geben sollte, um das Volk für den nächsten Krieg zu mobilisieren, wird durch das fraktale Relief ad absurdum geführt, da es – selbst formlos und massig – die formlosen Massengräber der unbekannten Soldaten in Erinnerung ruft. Ebenso markant ist der Gegensatz der plastischen Formsprachen: Der klaren, minimalen Kontur ebenso wie den präzise aus dem Stein rausgeschnittenen Figuren des Blocks steht die dunkle amorphe, von keinem Punkt aus eindeutig erfahrbare Masse aus Asphalt entgegen, die das Denkmal in seiner Klarheit angeht. Hier kollidieren – untrennbar – zwei unvereinbare, widerstreitende Formen der Erinnerung und des Denkens: Der Block verklärt und blendet alles Störende aus, er idealisiert und heroisiert eine vergangene Stärke und fordert für sie stillstehendes, ehrfürchtiges Gedenken. Die „Kritische Masse“ dagegen schiebt sich störend über das Gelände. Ihre befremdliche, aus vielen Perspektiven aggressive Form provoziert Bewegung, physisch und mental. Sie bedrängt die Passant/innen und nötigt zu Reaktionen, zu Nachdenken wie Kritik, sowohl an ihrer eigenen als auch am 39er-Denkmal. Auf dem offenen und weiten „Neuen Reeser Platz“ verbinden sich Kriegerdenkmal und „Kritische Masse“ zu einem verstörenden Denkfeld über Sinn/Unsinn und Grauen von Krieg.
Die Form des Reliefs verdichtet die Formen ehemaliger Schlachtfelder an der West- und der Ostfront beider Weltkriege. Es nimmt die bis heute deformierten Topographien als Ausgangsmotive, empfindet die Krater, Gräben, Grate und willkürlichen Vertiefungen nach, die die unterschiedlichen Geschosse und Schützengräben im Grund hinterlassen haben. Es bildet dabei keine konkrete Landschaft ab. Ähnlich wie die Form der „Kritischen Masse“ der vergangenen Gewalteinwirkungen „nachdenkt“, bildet die dichte Materialität eine Analogie zur Dichte, Unzugänglichkeit und Kontaminierung der ehemaligen Schlachtfelder: Schwarzer, grobkörniger Asphalt mit heterogenen Beimischungen wie Schlacke, Basalt, Splitt und Glas, überfließt Hügel, die aus Recyclingasphalt und Schotter aufgeschüttet wurden.